Ein paar Gedanken zu Pastete

  • So, nun eine kleine Einführung ins Thema Mischungsrechnen.
    Erfahrene Diabetiker erkennen natürlich auf den ersten Blick wie viel BE für die gewählte Mahlzeit zu berechnen sind; Anfängern wie mir und vorsichtigeren Naturen bleibt dieser Weg leider verschlossen. Natürlich kann man auf Produkte der Lebensmittelindustrie zurückgreifen, reich an schmackhaften Konservierungsstoffen und essentiellen Glutamaten. Seitens der Industrie werden ja weder Kosten noch Mühen gescheut diese benutzerfreundlich zu deklarieren. Beim derzeitigen Preiskampf der Anbieter dieser Höhepunkte des guten Geschmacks ist das noch nicht einmal sehr teuer. Aber auch wenn ich damit dem weiteren Triumphzug dieses, für den Standort Deutschland wichtigen Zweigs der heimischen Industrie im Wege stehe koche ich doch lieber selbst.
    Damit steht man dann vor einem kleinen Problem: woher weiß man wie viele 'BE' in der Mahlzeit sind?
    Beginnen wir mal ganz von vorne. Angenommen ihr sitzt an einem Freitag Abend am Küchentisch – die Arbeitswoche ist vorbei, die Kinder, so ihr welche habt, sind im Bett oder in der Disco und der geliebte Ehepartner übt sich in Stillbeschäftigung oder macht Sport oder ähnliches – und blättert müßig in einem Kochbuch und sinniert wie denn der Rest der Familie in den nächsten Tagen zu versorgen sei. Einfach soll es sein, nicht allzu teuer und Spaß muss es machen. Wenn es denn schmeckte, währe das ein willkommener Bonus.
    Da fällt euer Blick auf „Cornish Pastry“. Klingt lecker und sieht gut aus. Kann man auch kalt essen, macht also nichts, wenn die Bagage die unter Aufopferung eurer Zeit bereitete Furage verschmäht oder nur mit Widerwillen zwingt, hat man doch damit schon das Vesper für Montag. Nun besteht das Gericht aus einer bunten Mischung verschiedener Rohstoffe mit zum Teil vielen (Mehl), wenigen (Kartoffeln) und gar keinen BE.
    Dadurch, dass wir nur eine Konzentration berechnen müssen, ist das Problem nicht allzu kompliziert. Zunächst ein paar Definitionen, das Meiste kennt ihr.
    Zuerst die BE: 'BE' ist eine auf den ersten Blick völlig willkürliche Einheit für die Masse. 10g Kohlenhydrate entsprechen einem 'BE'. So weit so einfach, sollte man meinen.
    Nicht ganz. Es sind 10g der wirksamen Kohlenhydrate, also derer, die einen direkten Einfluss auf den Blutzuckerspiegel haben. Grundsätzlich wird fast alle Energie, die der Körper „verbraucht“, in Form von Glucose durch das Blut transportiert. Was keine Glucose ist wird dazu gemacht. Da dies zum Teil viele Stunden dauert werden eben nur die vergleichsweise schnellen Kohlehydrate (Stärke und Zucker) berechnet. Aber das nur am Rande, das ist hier nicht das Thema.
    Die zweite und auch schon letzte Definition ist die der sogenannten Massenkonzentration. Die Massenkonzentration ist der Anteil einer Masse, die aus einem Bestandteil der Masse besteht. Sie hat keine Einheit. Wenn zum Beispiel 100g Kartoffeln 60g wirksame Kohlehydrate haben ist deren Massenanteil 0,6, das heißt, wenn ihr die Gesamtmasse 100g mit dem Massenanteil 0,6 multipliziert habt ihr die Masse der wirksamen Kohlehydrate, nämlich 60g.
    Damit wisst ihr alles, was es zu wissen gibt. Jetzt nur noch schnell die Formel und schon könnt ihr loslegen: Die Summe der Einzelmassen multipliziert mit deren Massenanteil ist gleich der Gesamtmasse multipliziert mit dem Gesamtmassenanteil.
    Alles klar? OK. Machen wir mal ein Beispiel. Weil es so gut schmeckt bleiben wir bei der „Cornish Pastry“ von oben.
    Beginnen wir mit dem Teig. Wir brauchen ein halbes Kilo Pastetenteig. Für Blätterteig sind wir zu Faul, also machen wir einen einfachen Hefeteig wie für eine Pizza. Wir geben 275g Mehl in eine Schüssel, mischen einen Teelöffel Salz und zwei Teelöffel Trockenhefe darunter. Dann drücken wir ein Loch in die Mitte und schütten 225ml handwarmes Wasser und zwei Teelöffel Olivenöl dazu, kneten das ganze zu einem Teig, decken die Schüssel mit einem Geschirrtuch ab und lassen den Teig an einem warmen Ort ungefähr eine Stunde gehen. Wir merken uns: 275g Mehl.
    Jetzt haben wir Zeit für die Füllung. Wir würfeln 250g mageres Fleisch (klassisch ist Rumpsteak, ist allerdings ein teurer Spaß), rund 130g Zwiebeln und ungefähr 85g gelbe oder weiße Rüben grob. Dann schneiden wir noch 225g Kartoffeln in sehr feine Scheiben oder Streifen. Die Füllung wird gemischt, mit Salz und Pfeffer gewürzt und ein Zweig trockener (wer hat auch frischer) Thymian zugegeben. Wer mag und wessen Familie dieses wundervolle Gewürz zu schätzen weiß darf auch noch frisch gewürfelten Knoblauch zugeben. Wir heizen den Ofen auf 180 °C vor und merken uns: 225g Kartoffeln und 85g Rüben.
    Wenn der Teig gegangen ist teilen wir ihn in zwei gleiche Teile und rollen ihn auf zwei Scheiben zu je ungefähr 28cm Durchmesser aus. Füllung darauf verteilen und die Pasteten zusammenklappen. Wir haben damit zwei muschelförmige Pasteten. Noch die Ränder zukleben (geht ganz gut mit einem Löffelstiel) und beide Pasteten mit verschlagenem Ei bestreichen. Nicht vergessen: an die höchste Stelle ein Loch bohren. Kann sonst sein, dass die Pastete platzt. Beide auf Backpapier für 40 Minuten in den Ofen. Damit haben wir Zeit zum Tischdecken, Rechnen und Spritzen.
    Nochmal die Formel:
    m1*c1+m2*c2+m3*c3+...=mg*cg
    Zuerst, warum haben wir uns nur die Sachen gemerkt, in denen wirksame 'Kohlenhydrate' sind? Ganz einfach: Nehmen wir mal das Wasser. Massenkonzentration Kohlenhydrate ist 0. Damit ist 0*225g=0, also entfällt es für die Berechnung. Das Selbe gilt auch für Massen, die die Mischung verlassen, solange nur die 'Kohlenhydrate' drinbleiben. Füllen wir das ganze mal mit Leben:
    mMehl*cMehl+mKartoffeln*cKartoffeln+mRüben*cRüben=mPastete*cPastete
    275g*0,59+225g*0,8+85g*0,05=mg*cg
    Was uns damit noch fehlt ist die Gesamtmasse. Wenn die Pasteten fertig sind, legen wir sie einfach mal auf die Waage. Nehmen wir mal an es seien 1050g.
    (275g*0,59+225g*0,8+85g*0,05)/1050g=cg
    cg=0,33
    Also enthalten 100g unserer Pastete 33g wirksame Kohlenhydrate. Da eine der Pasteten ungefähr 525g wiegt hat sie damit 17BE. Gut, ich gebe zu, dass man sich das nicht gerade jeden Tag zu Mittag reinschwarten sollte, lecker sind sie aber trotzdem.
    Ach ja: Interessierte Leser möchten vielleicht wissen, welches Kochbuch wir eingangs durchgeblättert haben. Es war James Martin's Easy British Food, erschienen im Verlag Mitchell Beazley, ISBN-13: 978-1840009774.
    So, dann viel Spaß beim rechnen und guten Appetit.

    Sebastian

    Und, flosse, war der laberschwall-Faktor hoch genug?

  • Ich bin beeindruckt.
    Ich habe das tatsächlich ganz, also bis zum Ende, durchgelesen.
    Nach der Hälfte hat sich allerdings mein Gehirn abgestellt.
    Und wird das Rumpsteak überhaupt nicht angebraten?
    Und die Kartoffeln, kommen die da auch roh rein?
    Das wird doch im Leben nicht gar. Außen schwarz und innen knackig.


    Bin schon gespannt, was Klaus und Adrian zu der Formel sagen.


    Zu deinen Kochkünsten, würde ich wohl deine Frau nochmal befragen, bei Gelegenheit.
    Aber schwallern, das kannst du, Sebastian. Respekt!


    flosse

  • Herrliches Konglomerat aus einem Hauch Sarkasmus, einem netten Rezept und der Aussage: "Einfach die GesamtBE zusammenzählen und durch die Endmasste Teilen. Wenn wir dann annehmen, dass die Pastete homogen ist (nein, bitte nicht pürieren!), dann geht alles weitere mit Dreisatz". Köstlich!

  • Doch flosse, das wird gar. Das Fleisch wird ja gewürfelt und die Kartoffeln sehr fein geschnitten. Das wird schon. Zumindest hat es bei mir immer geklappt.

    Sebastian

  • Nicht schlecht Sebastian :yes: aber wenn ich mein Essen immer so berechnen müßte, würde ich meinen DM wieder zurück geben :)

  • Du weisst eben nicht, was schmeckt. Erstens ist die englische Küche nicht so schlecht, wie oft behauptet wird (OK, das Brot ist widerlich, das gilt aber auch für die meisten französischen Brote. Wer es nicht glaubt, sollte mal in Frankreich frühstücken. Baguette mit Marmelade ist kein Frühstückt, sondern eine Zumutung), und zweitens ist das ein Rezept aus Maiswand (Cornwall). Sag einem Cornen nie, er sei Engländer. Das gibt... Stress.

    Sebastian

  • *michkomplettweglach*

    Klasse Beitrag, Sebastian! Hab' mich köstlich (!) amüsiert :yes: . Vielleicht sollte ich diese Calzone (nich' hauen, ist aber rein äußerlich optisch ähnlich, nicht?) auch mal probieren. Bin evtl die einzige hier, die auch Blackpudding mag...

  • :yes: Sehr viel englisches Futter kenne ich zwar nicht, darum werde ich dies vielleicht auch mal ausprobieren.

    Vielleicht sollten wir manchmal einfach das tun, was uns glücklich macht
    und nicht das, was vielleicht am besten ist.
    (Pipi Langstrumpf)

  • Das mit der Calzone hab ich jetzt nicht gehört...
    Ne, Blödsinn. Ich hab mir sogar überlegt, das ganze als einer solchen ähnlich zu beschreiben. Ich weiß leider nicht, wie die sich richtig schreibt und bin zum Faul zum nachsehen. Deshalb habe ich es gelassen.
    Ganz klassisch klappt man das ganze so zusammen, dass oben eine gebogene Naht entsteht. Sieht recht hübsch aus, vor allem, wenn man die Naht nicht gerade, sondern mit einem leichten Wellenmuster schließt. Erinnert an eine geschlossene Muschel.

    Sebastian