Priorität: Hypo- oder Hyper-Vermeidung?

  • Hallo,


    Wie macht Ihr das in der Praxis? Wann kümmert Ihr euch mehr um Hypos, wann mehr um Hochs? Wichtig ist hier sicher der HbA1c. Oder? Wieviele Hypos findet Ihr OK? Ab wann seht Ihr das als Euer wichtigstes "Thema"?


    wie ja schon geschrieben, bauen wir gerade an einer App für T1D, die Ursachen von Hochs und Tiefs findet und mir dann die zwei bis drei wichtigsten Maßnahmen als Todos anzeigt (und hilft, das umzusetzen). Jetzt stehe ich vor der Frage, welche der verschiedenen Maßnahmen als am wichtigsten bewertet werden sollen. Insbesondere: was ist "wichtiger", Hypo oder Hyper, bzw. wann genau ist das eine wichtiger als das andere?


    Ganz konkrete Beispiele, was schon "feststeht":

    • Sogenannte repetitive Hypos (sind sehr genau definiert: > 2 Mal mehr als 30 Minuten unter 70 mg/dl innerhalb von 48 h) bringen den ganzen Stoffwechsel durcheinander. Der Diabetes ist kaum zu managen. Diese werden daher ganz oben noch vor irgendwelchen Hypergklykämien priorisiert.
    • Innerhalb der Überzuckerungen kann ich recht genau sehen, welche wie schwer sind und danach priorisieren.
    • Aber wie ist es mit Hypos ab und zu versus Hyper ab und zu?


    Die Leitlinien (Deutschland, EU, USA) sind leider unheimlich ungenau. Ich wühle mich gerade noch durch Studien. Aber da hier im Forum ja auch sehr informierte Leute unterwegs sind, dachte ich, vielleicht habt Ihr was im Petto, bzw. eine Meinung/ Erfahrung.


    Danke für Eure Meinungen! Ich bin gespannt, wie Ihr das so macht.

  • Hypos sind halt eine eher akute Sache. Eine Hypo daheim vorm Fernseher ist kein Problem, draussen auf einer Wanderung nervts und wenn ich Auto fahre oder eine schwere Maschine bediene (was in meinem Fall beides nicht vorkommt, aber grundsätzlich) wirds sogar gefährlich. Daher gilt es wohl eher, diese zu vermeiden.

    Obwohl ich persönlich aufgrund der Situation bei meiner Erstdiagnose mit Ketoazidose und normal nicht messbarem BZ sehr sensibilisiert bin auf stark erhöhte Werte und mir daher auch Mühe geb, diese zu vermeiden. Aber am Ende ists weniger dringend und man kann sich, im Normalfall, auch die Zeit nehmen, dagegen anzugehen.

    Der HbA1c ist für einen Grossteil hier, schätz ich, weniger wichtig als noch vor ein paar Jahren. Dank Sensoren sehen wir, in welchem Bereich sich der BZ bewegt. Und eine hohe Prozentzahl im definierten Bereich ist mir wichtiger als die HbA1c-Prozentzahl, die der Arzt bei der regelmässigen Kontrolle ins Dossier schreibt. Denn tägliche Achterbahnfahrten beim BZ müssen sich nicht unbedingt darin niederschlagen. Sollten aber vermieden werden.

  • das Dumme ist halt, dass eine Hypo meist eine Hyper nach sich zieht durch die Gegenregulation (die immer dann kommt, wenn man sie nicht braucht *örks*). Ansonsten seh ich das wie Kochloeffel:


    Hypos sind akut und können dann auch akut lebensgefährlich sein, Hypers lassen einem häufig mehr Zeit, zu reagieren (es sei denn, man ist im absoluten Insulinmangel, das passiert aber fast nur Pumpis).


    Vermeidbar sollte vor allem das auf und ab sein (ich bin von einer "Flatline" weit weg...), das würde beide Probleme lösen :rofl

    Blutzucker ist die Autobahn, Gewebszucker ne Nebenstraße!

  • ibenthin Das ist eine Frage der persönlichen Priorisierung:

    Will man den heutigen Tag überleben?

    Oder will man seinen Lebensabend mit Augenlicht, Füßen und ohne Dialyse verbringen?

    Oder gar beides?


    Meine Priorisierung:

    Jede Hypo ist eine Hypo zuviel. Passiert leider trotzdem gelegentlich.

    Der Begriff "Hyper" kommt in meinem alltäglichen Sprachgebrauch nicht vor. Ich versuche halt, die Schwankungen möglichst flach zu halten und möglichst viel Zeit in der Time of range zu verbringen.

    Basal: Lantus (5 IE/d), Bolus: Normal-Insulin (0,5-1,3 IE/(gKH + gEW/2)/10), Pre-Workout: Humalog (1-2 IE), Hypo-Helfer: Dextro, KH-Menge pro Tag: 30-50g, Diaversary: 19.11.

    Glukosewerte werden vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.

    3 Mal editiert, zuletzt von Ove ()

  • Kein 'oder', sondern ich versuche beides zu vermeiden.
    Hyper versteht sich von selbst mit BZ max 270 mg/dl und bei Hypos zieht mein Diabetologe mir die Ohren lang. Hatte gerade eine leichte mit 51 mg/dl. ?(

  • Hypos - prio bei Auswärtsterminen und Besprechungen intern (bei einer Besprechung die man selber festgelegt hat, möchte man schon halbwegs klar im Kopf sein;)) , extern wie Tagungen usw., Auto fahren und Bewegung - hier halte ich meinen BZ bewußt höher teilweise am liebsten im 200er Bereich (10-12mmol)


    Hyper - prio wenn ich das Gefühl habe, mit dem Pod stimmt was nicht - wenn über Stunden der BZ kaum sinkt (meist ab 13-14mmol), fühle ich mich nicht wohl, dann messe ich fast im Stundentakt und wenn sich nichts tut, muß gewechselt werden , einmalige Hyper werden normal korrigiert


    Beides wenn ich nachts schlecht schlafe.

    Leg Dich nicht mit Zucker an, er ist raffiniert! :bigg

  • Kein 'oder', sondern ich versuche beides zu vermeiden.

    Yep, weil sehr hohe Werte eher Resistenzen und völlig andere bis unbekannte Faktoren bedeuten. Die runterzubekommen ist eh scheisse. Und mehr Arbeit als der Mist zuvor vermutlich "wert war".

    --
    Nix Diabetes - das ist lediglich Glucose-Intoleranz.

  • Verstehe die Frage nicht.

    Du gehst davon aus, das man sich zwischen Hypo und Hyperglykämien entscheiden müsste.

    Eine Vermeidung von Hyperglykämien bedeutet aber auch immer eine Vermeidung von Hypoglykämien.


    Man kann zwei Einflußfaktoren gänzlich kontrollieren. Insulindosis und Kohlenhydratmenge (bzw. FPE)

    Auf andere Sachen wie Insulinresistenz, Verdauung, etc. hat man keinen (kurzfristigen) Einfluß.

    Einmal editiert, zuletzt von Hype ()

  • Wow, vielen Dank für die vielen Rückmeldungen!


    Bei der Anwendung geht es tatsächlich eher um langfristige Verbesserungen, nicht um das akute "Jetzt-"Managen. Ich denk da nochmal drüber nach.

    Zwei Punkte fallen mir ein, wenn ich die Antworten lese:

    • vom Nutzer individuell kurz die persönlichen Ziele erfragen. Bei jemandem, der den ganzen Tag im Auto sitzt, sollte Hypo-Vermeidung eine wichtigere Rolle spielen, bzw. er/sie sollte das festlegen können
    • wenn das Ziel eine Blutzucker-Stabilisierung ist, könnte man zur Priorisierung die darauf folgenden Hypers mit einbeziehen. Die zu priorisieren ist ja, wie ich schon schrieb, ziemlich gerade aus.
  • Bei älteren Menschen 70+ ist die Hypovermeidung wichtiger, da erhöhen schwere Hypos das Demenzrisiko oder führen zu Stürzen, weil die Leute nicht mehr so sicher laufen können.


    LG

    zuckerstück

    Das ist mein erster Garten, ich übe noch.🐞🌼

  • Wäre es eine Option, eine Gewichtung der Regelung/Empfehlung abhängig vom aktuellen Wert zu gestalten. Ich denk, dass das jeder intuitiv selbst im Kopf macht:

    Unter 70: Achtung Gegensteuern ( nur Hypo wichtig)

    Unter 100: 80% Hypo 20% Hyper

    Unter 150: 50:50

    Unter 250: 20:80

    Über 250: 0:100


    Dabei aber immer maximal Werte hinterlegen, d.h. Nur mehr als xy Insulin und nie mehr als Xyz KH.


    Was mir immer wichtig erscheint, ist die Geschwindigkeit ( ich bin immer mal wieder zu ungeduldig) der Reaktion. Bei einer akuten Hypo sofort, sonst graduell abwarten bzw. Sukzessive Maßnahmen durchführen

  • Bei älteren Menschen 70+ ist die Hypovermeidung wichtiger, da erhöhen schwere Hypos das Demenzrisiko oder führen zu Stürzen, weil die Leute nicht mehr so sicher laufen können.

    Agree, zudem sind die Wahrscheinlichkeiten sich Folgeschäden einzufangen weit kleiner. Wenn ich übrigens länger Auto fahre, dann mache ich viel Fett/Protein und ganz wenige Carbs. Siehe Hotelfrühstück aus Würstchen/Bacon und Rührei. Das läuft halt langsam hoch, heisst aber auch dass ich nur wenig aktives Insulin habe. Je nach Startwert entweder die ersten 2IE drauf oder wenn eher tief startend warten, bis erstmals 120 anliegen und dann je nach Tagesform 1-2 IE in 1-2 Etappen um den Rest abzufangen.


    Was bei Hotelfrühstück auch gut geht - viele haben "Käseteller" oder "Lachs" am Buffet. Kommt mit Rührei zusammen auch gut. Macht auch lange satt finde ich.

    --
    Nix Diabetes - das ist lediglich Glucose-Intoleranz.

    3 Mal editiert, zuletzt von Grounded ()

  • Was mir immer wichtig erscheint, ist die Geschwindigkeit ( ich bin immer mal wieder zu ungeduldig) der Reaktion. Bei einer akuten Hypo sofort, sonst graduell abwarten bzw. Sukzessive Maßnahmen durchführen

    Danke - das ist ein wichtiger Hinweis - besonders, wenn man mit CGM arbeitet, neigt man dazu, zu schnell und u.U. zu stark zu korrigieren, was eine Schaukelei nach sich ziehen kann, die dann erst wieder eingefangen werden muß.... mußte ich auch mühsam lernen :pinch:

  • Den Bezug zum HbA1c verstehe ich auch nicht so wirklich. Der HbA1c interessiert mich nur als ganz langfristiger Trend: geht es über die letzten Quartale aufwärts/abwärts/seitwärts? Wenn sich der HbA1c stabil aufwärts bewegt, weiß ich, dass ich in der Therapie Renovierungsbedarf habe. Interessanter sind die täglichen BZ-Schwankungen: wenn die tagelang zu sehr "herumhampeln", habe ich meistens ein Lifestyle-Problem, jedenfalls aus der Sicht des DM. ;)


    Ansonstens gibt es bei mir die Frage der Prio eigentlich auch nicht. Hypos haben immer Prio und wenn ich z.B. länger Auto fahre, fängt das eben auch schon mal bei 100 mg/dl abwärts an. Allerdings merke ich einen deutlichen Abwärtstrend beim BZ inzwischen ziemlich frühzeitig und habe häufig schon Gegenmaßnahmen ergriffen, bevor die Sensorwerte überhaupt unter 70 mg/dl kommen. Es sei denn, es schleicht sich so runter oder ich bin sehr abgelenkt.


    Tage mit aufeinander folgenden starken Schwankungen sind deutlich anstrengender als einzelne Hypo/Hypers. Die Kunst ist also, das Einzelproblem (in Timing und Menge) so perfekt zu behandeln, dass danach wieder Ruhe herrscht auf dem BZ.

    "Sing this corrosion to me!"

    (Stoßseufzer eines unbekannten Seglers)

  • Sogenannte repetitive Hypos (sind sehr genau definiert: > 2 Mal mehr als 30 Minuten unter 70 mg/dl innerhalb von 48 h) bringen den ganzen Stoffwechsel durcheinander. Der Diabetes ist kaum zu managen. Diese werden daher ganz oben noch vor irgendwelchen Hypergklykämien priorisiert.

    Das kann ich so nicht unterschreiben. Bei 65, die sich dann Dank loop wieder auf die >70 erholen passiert bei mir nicht so viel, als dass ich deswegen 2T meinen Diab nicht managen könnte. Die Auswirkungen auf dieses Kriterium ist m.E. sehr individuell. Die Definition kannst Du deswegen natürlich trotzdem so vornehmen, nur mit der allgemeinen Schlußfolgerung wäre ich vorsichtig.

    Closed Loop Open Mind

  • Insbesondere: was ist "wichtiger", Hypo oder Hyper, bzw. wann genau ist das eine wichtiger als das andere?

    Ich verstehe noch nicht, wie eine Priorisierung hier helfen soll. :/

    Wenn ich in der Hypo bin, will ich das beheben.

    Wenn ich überzuckert bin, will ich das beheben. (unter Berücksichtigung von IoB und Mageninhalt)

    Was gibt es da zu priorisieren?

    wie ja schon geschrieben, bauen wir gerade an einer App für T1D, die Ursachen von Hochs und Tiefs findet und mir dann die zwei bis drei wichtigsten Maßnahmen als Todos anzeigt (und hilft, das umzusetzen).

    Und wie soll eine App dabei helfen, das Dextro-Plättchen auszupacken? :hihi:

    Basal: Lantus (5 IE/d), Bolus: Normal-Insulin (0,5-1,3 IE/(gKH + gEW/2)/10), Pre-Workout: Humalog (1-2 IE), Hypo-Helfer: Dextro, KH-Menge pro Tag: 30-50g, Diaversary: 19.11.

    Glukosewerte werden vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.

  • Und wie soll eine App dabei helfen, das Dextro-Plättchen auszupacken? :hihi:

    KI. Die gibt dann Stromschläge ab, ruft den Diabeteswarnhund oder gleich den Terminator dazu 8)

    Mir erschließt sich aktuell noch nicht so ganz der Sinn zu so einer App. Eine Pumpe mit Loop die nicht nur Insulin sondern auch mit Glukagon gegensteuern kann, schon eher.

    Wenn man Knäckebrot isst, hört man nicht was die anderen Menschen um einen herum sagen. Ich esse jetzt sehr oft Knäckebrot! Knäckebrot ist super! :S

  • in den Profi-Auswertungen von Medtronic gab es sowas ähnliches, ein Hinweis, warum man Hypos oder Hypers hat. Das war dann schon gut für die Therapieanpassung

    Blutzucker ist die Autobahn, Gewebszucker ne Nebenstraße!